Sunday, 21 October 2012

Ashin Kesaras Geschichte



Als die Saffran-Revolution mit all den Messendemonstrationen in den Straßen tatsächlich begann, war ich bereits heimlich in mein Heimatdorf zurückgekehrt und hielt mich dort versteckt. Als ich dann U Gambira in einem Radiointerview hörte war ich überrascht und auch zutiefst bewegt. Ihn so im Radio zu hören, das war eine unglaubliche Sache!
Zum ersten mal begegnete ich Ashin Gambira 2005 im Insein Ywama Kloster in Rangoon, als er gerade zwanzig Jahre alt war. Obwohl er sich damals nur drei Monate in diesem Kloster aufhielt, wurden wir beide enge Freunde. Abgesehen von unserer gemeinsamen Vorliebe für Bücher schätzte ich an U Gambira besonders seine großzügige und selbstlose Persönlichkeit. Stets sagte er: “Jeder religiöse Mensch muss an der Befreiung unseres Landes von dieser Militärjunta arbeiten. Kein Buddhist, Christ oder Hindu darf dieses Militärregime akzeptieren.”
Als Mönch seit meinem zehnten Lebensjahr und ursprünglich aus einem Dorf, in dem fast alle Menschen arm und ungebildet sind, war ich niemals zuvor politisch aktiv gewesen. Doch nachdem ich Ashin Gambira getroffen habe, fing ich an, die Situation in unserem Land mehr und mehr so zu verstehen wie er. So begann ich, ihn zu unterstützen bis ich schließlich manchmal selbst geschockt darüber war, wie sehr ich doch mittlerweile in diese Bewegung involviert war. Ich erinnere mich zum Beispiel an eine Situation in der Sule-Pagode im Jahr 2006. Ashin Gambira bat mich, gemeinsam mit ihm Flyer zu kleben. Wir standen um 3:00 Uhr morgens auf und nahmen den Bus zur Sule-Pagode. U Gambira beobachtete die Leute um uns herum sehr genau und warnte mich: “Du musst immer wachsam sein und deine Umgebung aufmerksam untersuchen! Wenn du einen Flyer klebst, dann geh schnell weiter und schau niemals zurück!”
Zu jener Zeit arbeitete Ashin Gambira bereits im Untergrund, zog von Kloster zu Kloster, knüpfte Verbindungen und schmiedete Pläne. Er und sein Bruder kamen auf der Suche nach Unterschlupf viele Male zu mir. Sie forderten mich auf, nach Männern mit kurzem Haar auf Motorrädern Ausschau zu halten. U Gambira war sehr geschickt darin, Spitzel in Zivil von normalen Bürgern zu unterscheiden. Zum Beispiel riet er mir, einen Blick auf die Füße dieser Leute zu werfen. Die Spitzel tragen in ihren Büros häufig Socken, so dass ihre Füße etwas heller als die der gewöhnlichen Leute sind; außerdem sind sie in der Regel kurzhaarig.
Im Jahr 2005 war ich nach Mandalay in die Nähe der Yadanabon-Universität gezogen. Ich hatte mich einem Jugendcamp der UNFPA (United Nations Population Fund) angeschlossen und nahm an einem besonderen Programm zur Gesundheitsfürsorge teil, was für mich darüber hinaus eine gute Gelegenheit war, mein Englisch zu verbessern. Kurz vor dem burmesischen Neujahrsfest beschloss eine Gruppe Spender und Botschaftsangehöriger unterschiedlicher Länder, unserem Camp einen Besuch abzustatten. Meine Lehrer wählten mich aus, bei dieser Gelegenheit im Rahmen eines offiziellen Treffens zu unseren Gästen zu sprechen. Die ganze Veranstaltung dauerte etwa eine Stunde. Ich sprach vor den Botschaftern, erklärte, wie man sich selbst vor HIV/AIDS schützen kann und lehrte Grundlagen in englisch vor Studenten. Der amerikanische Botschafter gab mir seine E-Mail-Adresse und bat mich, mit ihm in Verbindung zu bleiben; auch spendete er etwas Geld für meine Weiterbildung.
Am folgenden Tag tauchten in meinem Kloster drei Spitzel in Zivil auf, die nach mir suchten. Da ich keine Verabredung mit diesen Leuten hatte, bat ich meine Freunde, ihnen zu sagen, dass ich nicht zuhause sei. Wenig später erhielt ich eine schriftliche Aufforderung, mich ins Lawaka-Amt zu begeben – der zentrale Amtssitz der Stadt Mandalay. Ich musste davon ausgehen, dass mich die Beamten, wenn ich dieser Aufforderung Folgeleisten würde, entweder zwingen würden, irgendeine Erklärung zu unterschreiben oder mich gleich festnehmen würden. Deshalb beschloss ich, mich nicht auf dem Amt zu melden und zog stattdessen nach Rangoon. Doch auch dort tauchten Ermittler in meinem Kloster auf und suchten nach mir. So lebte ich schließlich gemeinsam mit Gambira im Untergrund. Wir hatten keinen festen Wohnsitz sondern zogen von einem Kloster zum nächsten, wobei wir nie länger als eine Nacht an einem Ort blieben. Wir waren gezwungen, unsere Identität und unseren Aufenthaltsort geheim zuhalten, so dass niemand uns aufspüren konnte. Dies aber hielt uns nicht davon ab, heimlich weiter Poster und Flyer zu kleben, zum Beispiel an Toilettenwände. Die grundlegenden Botschaften unserer Flugblätter waren:
- “Verringert die Preise für Öl und Grundnahrungsmittel!”
- “Stoppt die Gewalt gegen die einfachen Menschen und beendet ihre bittere Not!”
- “Lasst Aung San Suu Kyi, alle inhaftierten Mönche und alle politischen Gefangenen frei!”
- “Alle religiösen Menschen sollten an der Befreiung vom Leiden arbeiten!”
Mit dem Beginn des Jahres 2007 wurde es zunehmend schwieriger, sich zu verstecken – ganz besonders für Ashin Gambira. Die Junta suchte nach ihm in jedem Kloster, in dem er je gelebt hatte. U Gambira teilte mir mit, dass es unter diesen Umständen für uns beide sicherer wäre, sich getrennt voneinander zu verstecken. Manchmal sahen wir uns über eine Woche lang nicht, bis ich schließlich in mein Heimatdorf zurückkehrte, um mich in dem dortigen Kloster zu verstecken. Dort hörte ich, wie U Gambira im Radio ein Interview gab. Das war so eine unglaubliche Sache! Ich war überrascht und zutiefst bewegt.
Mit Beginn der Niederschlagung der Saffran-Revolution sammelten die Regierungsvertreter der nahegelegenen Stadt die Namen aller Mönche in unserem Dorf und kamen auch in das Kloster, in dem ich mich zu diesem Zeitpunkt aufhielt. Ich gab mich den Ermittlungsbeamten unter falschem Namen aus und beschloss, das Kloster augenblicklich zu verlassen, um mir einen neuen Unterschlupf zu suchen.
Kurz bevor ich abreisen wollte, kehrten drei schwerverletzte und als gewöhnliche Bürger verkleidete Mönche in mein Heimatdorf zurück. Soldaten waren Nachts in ihr Kloster eingedrungen und hatten alles verwüstet. Etwa einhundert Mönche, die sich unter dem Holzboden versteckt hatten, erlitten an allen möglichen Körperteilen schwere Verletzungen, als die Soldaten mit Eisenstangen blindwütig auf die Mönche eingeprügelt hatten. Um zu entkommen, hatten sich die Mönche ihrer Roben entledigt und waren mit dem Bus bis in mein Heimatdorf geflohen. Sie drängten darauf, jemanden außerhalb des Landes anzurufen und unser Kloster war das einzige mit einem Telefon im Umkreis von zwanzig Dörfern. Der Abt unseres Klosters war über diese Entwicklung extrem beunruhigt, er fürchtete, dass das Militär unsere Telefonnummer ausfindig machen und ihn ebenfalls verhaften würde. Nun war er allerdings auch schon sehr alt und wir machten einfach den Anruf. Ich konnte es kaum aushalten, die Verletzungen meiner Mitmönche zu sehen, ihre Geschichten zu hören und miterleben zu müssen, wie sie vor mir weinten.
Nach diesem Ereignis beschloss ich, nach Mae Sot, Thailand zu fliehen. Einen neuen Pass konnte ich nicht bekommen, also fuhr ich zu einem Freund im Gebiet der Karen, der mir Ratschläge bezüglich des Weges erteilte. In Myawaddy überquerte ich den Fluss nach Thailand und erreichte im Dezember 2007 Mae Sot. Insgesamt hatte ich in Burma bis zu diesem Zeitpunkt über ein Jahr lang versteckt gelebt.
Mein Freund Ashin Gambira wurde am 4. November 2007 verhaftet. Er wurde zu 68 Jahren Gefängnis verurteilt, die später auf 63 Jahre reduziert wurden. Vor ein paar Tagen (März 2010) hatte ich die Gelegenheit, mit einem Mönch aus Burma zu sprechen, der U Gambira im Gefängnis besucht hat. Der Mönch erzählte mir, dass sich U Gambira nicht mehr in einem klaren Geisteszustand befinde; sein Geist sei ‘an einem anderen Ort’. U Gambira leide unter schweren neurologischen Schäden. Er war offenbar über lange Zeiträume in einem dunklen Raum isoliert, so dass er jetzt im Licht kaum noch die Augen öffnen konnte. Er aß nicht und konnte sich auch nicht an seine Freunde erinnern. Tatsächlich saß er einfach nur da und starrte vor sich hin. Sein Körper war übersät mit Wunden und braunen Narben und ich weiß, dass er massiv gefoltert und in Einzelhaft gehalten wurde.
Im Dezember 2007 wurde in Burma ein Zeitungsartikel veröffentlicht, in dem mein Name, U Gambiras Name und die Namen vieler anderer Mönche genannt wurden. “Diese Mönche sind verdächtig”, hieß es in dem Artikel. “Sie wurden von der UG trainiert.” Die UG, die tatsächlich eine in Mae Sot ansässige friedliche Gruppe ist, wurde in dem Artikel als gewalttätige Untergrundorganisation bezeichnet. Glücklicherweise kennen die Ermittlungsbeamten der Junta die Namen meiner Eltern nicht. Manchmal wünsche ich, ich könnte einfach nach Hause gehen; doch wissend, was mit Ashin Gambira und so vielen anderen Freunden passiert ist, ist mir klar, dass ich dies nicht kann.
Interview Alexandra Rösch
Deutsche Übersetzung Florian Zeitz

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