Als die
Saffran-Revolution mit all den Messendemonstrationen in den Straßen tatsächlich
begann, war ich bereits heimlich in mein Heimatdorf zurückgekehrt und hielt
mich dort versteckt. Als ich dann U Gambira in einem Radiointerview hörte war
ich überrascht und auch zutiefst bewegt. Ihn so im Radio zu hören, das war eine
unglaubliche Sache!
Zum ersten mal begegnete ich
Ashin Gambira 2005 im Insein Ywama Kloster in Rangoon, als er gerade zwanzig
Jahre alt war. Obwohl er sich damals nur drei Monate in diesem Kloster
aufhielt, wurden wir beide enge Freunde. Abgesehen von unserer gemeinsamen
Vorliebe für Bücher schätzte ich an U Gambira besonders seine großzügige und
selbstlose Persönlichkeit. Stets sagte er: “Jeder religiöse Mensch muss an der
Befreiung unseres Landes von dieser Militärjunta arbeiten. Kein Buddhist,
Christ oder Hindu darf dieses Militärregime akzeptieren.”
Als Mönch seit meinem zehnten
Lebensjahr und ursprünglich aus einem Dorf, in dem fast alle Menschen arm und
ungebildet sind, war ich niemals zuvor politisch aktiv gewesen. Doch nachdem
ich Ashin Gambira getroffen habe, fing ich an, die Situation in unserem Land
mehr und mehr so zu verstehen wie er. So begann ich, ihn zu unterstützen bis
ich schließlich manchmal selbst geschockt darüber war, wie sehr ich doch
mittlerweile in diese Bewegung involviert war. Ich erinnere mich zum Beispiel
an eine Situation in der Sule-Pagode im Jahr 2006. Ashin Gambira bat mich,
gemeinsam mit ihm Flyer zu kleben. Wir standen um 3:00 Uhr morgens auf und
nahmen den Bus zur Sule-Pagode. U Gambira beobachtete die Leute um uns herum
sehr genau und warnte mich: “Du musst immer wachsam sein und deine Umgebung
aufmerksam untersuchen! Wenn du einen Flyer klebst, dann geh schnell weiter und
schau niemals zurück!”
Zu jener Zeit arbeitete Ashin
Gambira bereits im Untergrund, zog von Kloster zu Kloster, knüpfte Verbindungen
und schmiedete Pläne. Er und sein Bruder kamen auf der Suche nach Unterschlupf
viele Male zu mir. Sie forderten mich auf, nach Männern mit kurzem Haar auf
Motorrädern Ausschau zu halten. U Gambira war sehr geschickt darin, Spitzel in Zivil
von normalen Bürgern zu unterscheiden. Zum Beispiel riet er mir, einen Blick
auf die Füße dieser Leute zu werfen. Die Spitzel tragen in ihren Büros häufig
Socken, so dass ihre Füße etwas heller als die der gewöhnlichen Leute sind;
außerdem sind sie in der Regel kurzhaarig.
Im Jahr 2005 war ich nach
Mandalay in die Nähe der Yadanabon-Universität gezogen. Ich hatte mich einem
Jugendcamp der UNFPA (United Nations Population Fund) angeschlossen und nahm an
einem besonderen Programm zur Gesundheitsfürsorge teil, was für mich darüber
hinaus eine gute Gelegenheit war, mein Englisch zu verbessern. Kurz vor dem
burmesischen Neujahrsfest beschloss eine Gruppe Spender und
Botschaftsangehöriger unterschiedlicher Länder, unserem Camp einen Besuch
abzustatten. Meine Lehrer wählten mich aus, bei dieser Gelegenheit im Rahmen
eines offiziellen Treffens zu unseren Gästen zu sprechen. Die ganze
Veranstaltung dauerte etwa eine Stunde. Ich sprach vor den Botschaftern,
erklärte, wie man sich selbst vor HIV/AIDS schützen kann und lehrte Grundlagen
in englisch vor Studenten. Der amerikanische Botschafter gab mir seine
E-Mail-Adresse und bat mich, mit ihm in Verbindung zu bleiben; auch spendete er
etwas Geld für meine Weiterbildung.
Am folgenden Tag tauchten in
meinem Kloster drei Spitzel in Zivil auf, die nach mir suchten. Da ich keine
Verabredung mit diesen Leuten hatte, bat ich meine Freunde, ihnen zu sagen,
dass ich nicht zuhause sei. Wenig später erhielt ich eine schriftliche
Aufforderung, mich ins Lawaka-Amt zu begeben – der zentrale Amtssitz der Stadt
Mandalay. Ich musste davon ausgehen, dass mich die Beamten, wenn ich dieser
Aufforderung Folgeleisten würde, entweder zwingen würden, irgendeine Erklärung
zu unterschreiben oder mich gleich festnehmen würden. Deshalb beschloss ich,
mich nicht auf dem Amt zu melden und zog stattdessen nach Rangoon. Doch auch
dort tauchten Ermittler in meinem Kloster auf und suchten nach mir. So lebte
ich schließlich gemeinsam mit Gambira im Untergrund. Wir hatten keinen festen
Wohnsitz sondern zogen von einem Kloster zum nächsten, wobei wir nie länger als
eine Nacht an einem Ort blieben. Wir waren gezwungen, unsere Identität und
unseren Aufenthaltsort geheim zuhalten, so dass niemand uns aufspüren konnte.
Dies aber hielt uns nicht davon ab, heimlich weiter Poster und Flyer zu kleben,
zum Beispiel an Toilettenwände. Die grundlegenden Botschaften unserer
Flugblätter waren:
- “Verringert die Preise für Öl
und Grundnahrungsmittel!”
- “Stoppt die Gewalt gegen die einfachen Menschen und beendet ihre bittere
Not!”
- “Lasst Aung San Suu Kyi, alle inhaftierten Mönche und alle politischen
Gefangenen frei!”
- “Alle religiösen Menschen sollten an der Befreiung vom Leiden arbeiten!”
Mit dem Beginn des Jahres 2007
wurde es zunehmend schwieriger, sich zu verstecken – ganz besonders für Ashin
Gambira. Die Junta suchte nach ihm in jedem Kloster, in dem er je gelebt hatte.
U Gambira teilte mir mit, dass es unter diesen Umständen für uns beide sicherer
wäre, sich getrennt voneinander zu verstecken. Manchmal sahen wir uns über eine
Woche lang nicht, bis ich schließlich in mein Heimatdorf zurückkehrte, um mich
in dem dortigen Kloster zu verstecken. Dort hörte ich, wie U Gambira im Radio
ein Interview gab. Das war so eine unglaubliche Sache! Ich war überrascht und
zutiefst bewegt.
Mit Beginn der Niederschlagung
der Saffran-Revolution sammelten die Regierungsvertreter der nahegelegenen
Stadt die Namen aller Mönche in unserem Dorf und kamen auch in das Kloster, in
dem ich mich zu diesem Zeitpunkt aufhielt. Ich gab mich den Ermittlungsbeamten
unter falschem Namen aus und beschloss, das Kloster augenblicklich zu
verlassen, um mir einen neuen Unterschlupf zu suchen.
Kurz bevor ich abreisen wollte,
kehrten drei schwerverletzte und als gewöhnliche Bürger verkleidete Mönche in
mein Heimatdorf zurück. Soldaten waren Nachts in ihr Kloster eingedrungen und
hatten alles verwüstet. Etwa einhundert Mönche, die sich unter dem Holzboden
versteckt hatten, erlitten an allen möglichen Körperteilen schwere
Verletzungen, als die Soldaten mit Eisenstangen blindwütig auf die Mönche
eingeprügelt hatten. Um zu entkommen, hatten sich die Mönche ihrer Roben
entledigt und waren mit dem Bus bis in mein Heimatdorf geflohen. Sie drängten
darauf, jemanden außerhalb des Landes anzurufen und unser Kloster war das
einzige mit einem Telefon im Umkreis von zwanzig Dörfern. Der Abt unseres
Klosters war über diese Entwicklung extrem beunruhigt, er fürchtete, dass das
Militär unsere Telefonnummer ausfindig machen und ihn ebenfalls verhaften
würde. Nun war er allerdings auch schon sehr alt und wir machten einfach den
Anruf. Ich konnte es kaum aushalten, die Verletzungen meiner Mitmönche zu
sehen, ihre Geschichten zu hören und miterleben zu müssen, wie sie vor mir
weinten.
Nach diesem Ereignis beschloss
ich, nach Mae Sot, Thailand zu fliehen. Einen neuen Pass konnte ich nicht
bekommen, also fuhr ich zu einem Freund im Gebiet der Karen, der mir Ratschläge
bezüglich des Weges erteilte. In Myawaddy überquerte ich den Fluss nach
Thailand und erreichte im Dezember 2007 Mae Sot. Insgesamt hatte ich in Burma
bis zu diesem Zeitpunkt über ein Jahr lang versteckt gelebt.
Mein Freund Ashin Gambira wurde
am 4. November 2007 verhaftet. Er wurde zu 68 Jahren Gefängnis verurteilt, die
später auf 63 Jahre reduziert wurden. Vor ein paar Tagen (März 2010) hatte ich
die Gelegenheit, mit einem Mönch aus Burma zu sprechen, der U Gambira im
Gefängnis besucht hat. Der Mönch erzählte mir, dass sich U Gambira nicht mehr
in einem klaren Geisteszustand befinde; sein Geist sei ‘an einem anderen Ort’.
U Gambira leide unter schweren neurologischen Schäden. Er war offenbar über
lange Zeiträume in einem dunklen Raum isoliert, so dass er jetzt im Licht kaum
noch die Augen öffnen konnte. Er aß nicht und konnte sich auch nicht an seine
Freunde erinnern. Tatsächlich saß er einfach nur da und starrte vor sich hin.
Sein Körper war übersät mit Wunden und braunen Narben und ich weiß, dass er
massiv gefoltert und in Einzelhaft gehalten wurde.
Im Dezember 2007 wurde in Burma
ein Zeitungsartikel veröffentlicht, in dem mein Name, U Gambiras Name und die
Namen vieler anderer Mönche genannt wurden. “Diese Mönche sind verdächtig”,
hieß es in dem Artikel. “Sie wurden von der UG trainiert.” Die UG, die
tatsächlich eine in Mae Sot ansässige friedliche Gruppe ist, wurde in dem
Artikel als gewalttätige Untergrundorganisation bezeichnet. Glücklicherweise
kennen die Ermittlungsbeamten der Junta die Namen meiner Eltern nicht. Manchmal
wünsche ich, ich könnte einfach nach Hause gehen; doch wissend, was mit Ashin
Gambira und so vielen anderen Freunden passiert ist, ist mir klar, dass ich
dies nicht kann.
Interview Alexandra Rösch
Deutsche Übersetzung Florian
Zeitz